Zum Weltkindertag: Kinderrechte ins Grundgesetz? Mehr als nur Symbolik!
Im Jahr 1954 riefen die Vereinten Nationen einen weltweiten Tag für Kinder ins Leben. Über alle Grenzen hinweg soll an dem Aktionstag auf die Kinderrechte und die Bedürfnisse junger Menschen aufmerksam gemacht werden. Mittlerweile wird der Weltkindertag in 145 Staaten gefeiert, hierzulande jedes Jahr am 20. September. Das diesjährige Motto lautet „Mit Kinderrechten in die Zukunft“. Die Initiator*innen UNICEF Deutschland und das Deutsche Kinderhilfswerk fordern zum 70. Geburtstag des Weltkindertages, dass die Politik ihre Prioritäten verstärkt auf Kinder ausrichtet. Denn jeder junge Mensch ist eine große Chance für die Zukunft unserer Gesellschaft.
Die UN-Kinderrechtskonvention ist in Deutschland bereits seit 1992 in Kraft. Trotz mehrerer Anläufe wurden die darin formulierten Kinderrechte bisher nicht in unser Grundgesetz aufgenommen. Was braucht es, damit eine entsprechende Gesetzesinitiative erfolgreich ist? Warum wäre es wichtig, die Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern? Und was würde sich dadurch für Kinder, Eltern und Bildungsakteur*innen ändern? Diese und weitere Fragen beleuchtet Anne Rolvering, Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, zum heutigen Weltkindertag.
Warum sollten die Kinderrechte überhaupt ins Grundgesetz aufgenommen werden?
Im Grundgesetz sind die grundlegenden Rechte festgeschrieben, die allen Menschen in unserem Land zuerkannt werden. Diese gelten selbstverständlich auch für Kinder. Im Unterschied zu Erwachsenen sind sie jedoch auf besondere Weise schutzbedürftig. Und um dies deutlich zu machen, ist es notwendig, die Kinderrechte im Grundgesetz zu ergänzen und zu verankern. Nur so wird beispielsweise sichergestellt, dass wichtige Aspekte, wie das Kindeswohlprinzip und das Recht auf Anhörung, als Grundrechte von Kindern beachtet und in allen nachgeordneten Gesetzen berücksichtigt werden müssen.
Warum stehen die Kinderrechte bisher nicht im Grundgesetz?
Die Bundesrepublik Deutschland hat die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen vor mehr als 30 Jahren unterzeichnet und anschließend ratifiziert. Wir haben uns damit verpflichtet, die Rechte von Kindern umfänglich zu schützen, zu achten und umzusetzen. Seitdem hat sich einiges zum Positiven verändert, und die Rechte von Kindern wurden in vielen Bereichen über eine entsprechende Gesetzgebung für verbindlich erklärt. Es ist jedoch bisher nicht gelungen, die Rechte von Kindern auch als Grundrechte im Grundgesetz zu verankern.
Zuletzt gab es im Frühjahr 2021 eine entsprechende Gesetzesinitiative der damaligen Bundesregierung. Sie war verbunden mit einem konkreten Formulierungsvorschlag. In der Debatte konnten sich die Parteien im Bundestag aber nicht fraktionsübergreifend auf einen gemeinsamen Text einigen. Und ohne eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat ist eine Änderung des Grundgesetzes nicht möglich.
Worüber wurde damals diskutiert?
In den Diskussionen ging es weniger um die Frage, ob die Kinderrechte in das Grundgesetz aufgenommen werden sollten. Zwar gab und gibt es Stimmen, die auf die Gültigkeit der Grundrechte für alle Menschen verweisen und eine Änderung deshalb als nicht notwendig ansehen. Aber das war nicht der entscheidende Streitpunkt. Dieser betrifft eher die Frage nach dem Wie.
Konkret konnten sich die Beteiligten nicht darüber verständigen, ob das Wohl des Kindes „angemessen“, „vorrangig“, „wesentlich“ oder „maßgeblich“ zu berücksichtigen sei. Darüber hinaus wurden Befürchtungen geäußert, dass sich durch die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz das sensibel austarierte Verhältnis zwischen Kindern, Eltern und Staat verschieben würde.
So frustrierend es ist, dass ein einzelnes Wort bis heute eine Einigung verhindert, so zeigt die intensive und anhaltende Diskussion aber auch: Die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz hat weitreichende Folgen und es geht um weit mehr als nur Symbolik.
Was würde sich für Kinder konkret ändern?
Die Rechte von Kindern sind kein Nice-to-have oder ein freundliches Zugeständnis von uns Erwachsenen an sie. Sie sind wichtig, gültig und nicht verhandelbar. Deshalb reicht es nicht aus, sie in einzelnen Gesetzen und im Alltag zu berücksichtigen. Sie gehören ins Grundgesetz. Nur so können wir sicherstellen, dass die Kinderrechte in allen Aspekten und auch in schwierigen Zeiten verbindlich beachtet werden.
Mit Blick auf die konkreten Auswirkungen für Kinder bin ich beispielsweise sicher, dass wir die Debatte um Kita- und Schulschließungen während der Coronapandemie anders und intensiver geführt hätten, wenn die Rechte von Kindern auf Schutz, auf Förderung und auf Beteiligung bereits im Grundgesetz festgeschrieben gewesen wären. Und wir wissen, dass solche Entscheidungen einen großen und sehr konkreten Einfluss auf die Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen haben.
Was würde sich für Eltern und Akteur*innen in der frühen Bildung ändern?
Bei den Bewerbungen um den Deutschen Kita-Preis beobachten wir, dass die Vermittlung und Beachtung der Kinderrechte in vielen Einrichtungen oder Netzwerken der frühen Bildung in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden sind. Das gilt für die organisatorische und pädagogische Gestaltung des Alltags ebenso wie für die gemeinsame Weiterentwicklung der Qualität.
Wir wissen aber auch, dass die Kinderrechte noch nicht immer und überall die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen. Oder es gibt Lücken zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit. Eine Grundgesetzänderung wäre vor diesem Hintergrund ein starkes Argument für Kinder, Eltern und diejenigen, die sich für die Rechte von Kindern einsetzen, mehr Aufmerksamkeit einzufordern und auf ein schnelles Schließen dieser Lücken zu drängen.
Welche Möglichkeiten gibt es, sich für die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz einzusetzen?
Eine Änderung unseres Grundgesetzes ist aus guten Gründen mit hohen Hürden verbunden. Für mich sieht es aktuell nicht danach aus, dass die notwendigen Mehrheiten in naher Zukunft erreicht werden. Gleichzeitig steht die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz als Ziel im aktuellen Koalitionsvertrag der Bundesregierung und bleibt daher hoffentlich weiter auf der politischen Tagesordnung.
Vor diesem Hintergrund scheinen mir zwei Dinge wichtig: Wir sollten zum einen das Anliegen weiter stark machen, die Diskussionen am Laufen halten und vor allem auch außerhalb der Politik weiter führen. Und wir müssen zum anderen ganz unabhängig von einer Grundgesetzänderung alle dazu beitragen, die Kinderrechte umfänglich zu achten, zu schützen und zu verwirklichen. Denn dazu sind wir laut Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verpflichtet.
Vielen Dank für das Interview!